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Die Frauentagsnacht


Im Werken der Fantasie ist die Erlösung vom Leid


                                                                                                                            Georg Burckhardt



Die Frauentagsnacht



Erschöpft lehnte sich Jola, die Meerjungfrau gegen den äußeren Fenstersims und schaute in das Rauminnere des kleinen Häuschens.

Ja, es stimmte, dort saß am Kamin in einem wunderschönen blau geblümten Sessel die Frau zu der sie wollte. Neben dem Sessel, auf einem Tisch stand ein bunter Blumenstrauß. Jola erkannte die  Blumen, denn oftmals warfen Leute von Schiffen solche Sträuße ins Meer. Manchmal waren diese Sträuße aus einem Material das ungenießbar ist und viele ihrer Meeresmitbewohner bekamen Verdauungsstörungen und starben sogar davon. Nun hatte Jola auf dem Meeresgrund eine Zeitschrift entdeckt, die von dem Leben dieser Frau in dessen Zimmer sie jetzt blickte berichtete.

In Jola pulsierte es, sie hatte diesen Artikel den anderen Meerjungfrauen gezeigt und alle waren sich einig, Jola sollte die Frau aufsuchen.

Wohlig am Kamin im Sessel saß Katja. Zu ihren Füßen lagen ihr Kater Yossi und der Hund Felix.

Ab und zu grunzten die beiden, liebevoll kraulte Katja ihre Tiere, das Feuer im Kamin prasselte.

Katja war zufrieden. Von Zeit zu Zeit goss sie sich aus der Sektflasche ein Gläschen nach, prostete sich zu und griff in die Pralinenschachtel. Über den Blumenstrauß von Ernst hatte sie sich sehr gefreut. Sie lächelte, das erste Mal, dass er am 8. März, zum Internationalen Frauentag Blumen schenkte. Bei uns feiert man solch einen sozialistischen Kram nicht, wir achten die Mutter, waren bisher seine Worte. Katja erwiderte dann jedes mal, es ist ein internationaler Frauentag, es geht um die Gleichberechtigung und die Würde der Frau. Eine Mutter sollte man immer achten nicht nur am Muttertag, hingegen ist nicht jede Frau ist eine Mutter. Stolz war Katja, dass Ernst ihren Bericht über die Frauenbewegung und die Entstehung des Frauentages gelesen hatte.

Katja sah zum Fenster, es schneite. Sie erhob sich, ging ins Bad und schaltete die Waschmaschine aus. Auf dem Rückweg ins Wohnzimmer hörte sie ihren Namen rufen. Beherzt öffnete sie die Eingangstür, wie vom Blitz getroffen zuckte sie zusammen als sie auf ihren Gast blickte.

Draußen heulte ein mächtiger Sturm und wehte Katja dicke Schneeflocken ins Gesicht.“Wohl doch zu viel Sekt getrunken“ sinnierte sie, wischte mit der Hand den Schnee aus dem Gesicht und starrte ungläubig auf die Gestalt vor ihr. Jola lächelte, "kein Phantom Katja, ich bin wahrhaftig, darf ich eintreten?"

"Jj, ja, bi, bitte", stotterte Katja.

"Ich bin die Meerjungfrau Jola und habe deinen Artikel über den Frauentag gelesen."

"Aha sagte Katja, nimm Platz."

"Bitte Katja, hast du eine Unterlage ich komme direkt aus dem Meer, sonst wird dein ganzes Sofa nass."

Katja lief in die Küche und holte die Wachstuchtischdecke und breitete sie über dem Sofa aus. Erschöpft setzte sich Jola. "Vielleicht hast du noch ein Glas Wasser für mich Katja?"

Katja goss sich noch einmal Sekt nach und beide Frauen prosteten einander zu.

"Jola, ein merkwürdiger Name", stellte Katja fest.

"Jola ist die Kurzform von Jolante und bedeutet Veilchenblüte" entgegnete Jola.

"Auf dem Meeresgrund fand ich die Zeitung mit deinem Artikel, leider war die Zeitung nicht mehr vollständig erhalten und deshalb beschlossen alle weiblichen Meeresbewohner mich zu dir zu schicken um mit einem vollständigen Bericht über den internationalen Frauentag zurück zu kehren." Katja freute sich und legte los.

"Die Idee zu einem nationalen Frauentag kam aus den USA. Dort hatten Frauen der Sozialistischen Partei Amerikas (SPA) 1908 ein Nationales Frauenkomitee gegründet, welches beschloss, einen besonderen nationalen Kampftag für das Frauenstimmrecht zu initiieren. Dieser erste Frauentag in den USA am 28.02.1909 war ein Erfolg – auch weil sich bürgerliche Frauenrechtlerinnen den Forderungen nach dem Frauenwahlrecht anschlossen und gemeinsam mit den Sozialistinnen demonstrierten. Während die US Amerikanerin May Wood-Simmens die Idee zu einem solchen Tag  nach Kopenhagen brachte, waren es die deutschen Sozialistinnen Clara Zetkin und Käte Duncker die sich auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz am 27. 08.1910 in Kopenhagen für den Frauentag einsetzten und den Beschluss forcierten. Der erste internationale Frauentag wurde dann am 19.03.1911 in Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn und der Schweiz gefeiert. Das alles beherrschende Thema der ersten Jahre war die Forderung nach dem freien, geheimen und gleichen Wahlrecht. Innerhalb der nächsten fünf Jahre hatte der internationale Frauentag dann seinen Platz in der sozialistischen Bewegung gefunden.

1917 war ein entscheidendes Jahr. Am 08.03.1917  - nach dem damals in Russland verwendeten julianischen Kalender der 29.02.1917 – streikten in Sankt Petersburg die Arbeiter- und Soldatenfrauen und erstmals auch Bauernfrauen und lösten damit die Februarrevolution aus. Zu Ehren der Rolle der Frauen in der Revolution wurde auf der Zweiten Internationalen Konferenz Kommunistischer Frauen 1921 in Moskau auf Vorschlag der bulgarischen Delegation der 8. März als internationaler Gedenktag eingeführt. Die Vereinten Nationen erkoren den 8. März als Tag für die Rechte der Frauen und den Weltfrieden."

"Danke dir Katja. Weißt du, diese Informationen sind sehr wichtig denn Neptun mit seinem Gefolge duldet keinen Widerspruch wenn wir ihm Vorschläge unterbreiten gegen die großen Luxusdampfer, das Meer etwas in Wallung bringen zu wollen. Immens viel Unrat landet im Meer und meine Meeresmitbewohner verenden manchmal elendig."

Katja nickte zustimmend, "ich weis bescheid Jola."

Katja und Jola bemerkten gar nicht das die Morgenröte, noch etwas gähnend, durchs Fenster schaute.

"Oh, ich muss zurück ins Meer", bemerkte Jola.

"Natürlich begleite ich dich meine liebe", antwortete Katja.

Nun lag Jola auf dem großen Schlitten, den Katja zum Meer zog.

"Wir haben Glück rief Jola, das Wasser ist nicht gefroren" und fast übermütig sprang Jola ins Meer. "Leb wohl tönte und gluckste es lautstark um Katja."

"Leb wohl hauchte Katja in den Morgen und weiter viel Mut, Veilchenblüte."

Soeben kam Ernst von der Arbeit und blickte erstaunt zu Katja die mit dem Schlitten aus dem Wald kam. Ernst hatte eine rote Nelke in der Hand und Katja dachte, nun übertreibt er es mit dem Frauentag.

"Bitte schön meine liebe Katja, diese Nelke ist von meinem Chef. So zu sagen aus der Höhle des Löwen. Nach deinem Zeitungsartikel hat er für alle Schwestern der Station und eben auch für dich eine rote Nelke zum internationalen Frauentag besorgt."

Katja lachte nun herzhaft.

"Nächste Woche geht der alte Schwerenöter in den Ruhestand, da wollte er sich wohl beim weiblichen Personal beliebt machen."

"Wer ist denn der neue Chefarzt?  Ernst?"

"Eine Chefärztin wird es sein, Frau Doktor Jola Meere – Strom."